Wertes festliches Auditorium,
sehr geehrter Herr Bischof Prof. Dr. Kohlgraf, lieber Peter,
einer der interessantesten und vielleicht auch besten Filme von Woody Allan ist „Match point“ aus dem Jahr 2005. Der Film beginnt mit der Zeitlupenaufnahme eines Tennisballs. Der Ball trifft die Netzkante und springt senkrecht in die Höhe. Dann wird das Bild angehalten, und es bleibt unklar, in welchem Feld der Ball landen wird. Davon hängt es ab, wie das Spiel ausgehen wird. Matchball eben.
Diese Szene aus „Match point“ ist gewissermaßen eine Metapher für den Plot, der dann erzählt wird. Sie will sagen: Es gibt Weggabelungen im Leben, da stehen einem in einem bestimmten, nicht allzu großen Zeitfenster viele Möglichkeiten offen. Je nachdem, wie man sich entscheidet, wird das weitere Leben in die eine oder andere Richtung verlaufen. Manchmal entscheiden Kleinigkeiten und scheinbare Zufälle darüber, ob der Ball diesseits oder jenseits des Netzes zu Boden geht.
Wie viele solcher grundsätzlichen Weichenstellungen gibt es eigentlich im Leben? Vermutlich zwei oder drei, in der Regel sind es kaum mehr. Das weitere Leben entwickelt sich organisch aus diesen grundsätzlichen Weichenstellungen.
Im Blick auf unseren Honorarprofessor Bischof Dr. Kohlgraf fallen mir zwei solcher Weichenstellungen ein. Die erste: Die Berufswahl, die es nach dem Abitur im Jahr 1986 zu treffen galt und damit die Entscheidung, nicht Kirchenmusik oder gar Mathematik zu studieren (trotz der exzellenten Abiklausur, auf die er mit Recht stolz ist), sondern Theologie und den Priesterberuf zu ergreifen. Hieraus resultiert das Folgende: Studium der Katholischen Theologie in Bonn und Salzburg, Diakonen- und Priesterweihe 1993 für das Erzbistum Köln, Kaplan in Euskirchen; anschließend – das Diplomstudium mit der Abschlussarbeit im Fach Alte Kirchengeschichte und Patrologie legte dies nahe – Promotion im Jahr 2000 mit einer Arbeit über Johannes Chrysostomus bei Kollegen Ernst Dassmann in Bonn. Anregende Privatkolloquia frühmorgens zu schlaftrunkener Stunde beim Doktorvater trugen zum erfolgreichen Abschluss der Promotion bei.
Es folgten Jahre in der Priesterausbildung sowie als Schulseelsorger und als Religionslehrer an verschiedenen kirchlichen Gymnasien. Hier konnte er seine didaktische Eignung unter Beweis stellen. Immerhin hat ihm die Bezirksregierung Köln nach mehreren Unterrichtsbesuchen und einem fachdidaktischen Kolloquium die staatliche Unterrichtsgenehmigung für die gymnasiale Oberstufe/Sekundarstufe II erteilt.
So weit, so gut. Diese Ereignisse haben sich mehr oder weniger alle aus der Weichenstellung nach dem Abitur und der Entscheidung für den Priesterberuf ergeben. Und dann gab es aus meiner Sicht noch eine zweite grundlegende Weichenstellung im Leben unseres Honorarprofessors: Die Entscheidung, die akademische Laufbahn einzuschlagen, und zwar im Fach Pastoraltheologie. So konnte im Oktober 2010 die Habilitation an der Kath.-Theol. Fakultät der Universität Münster mit der Verleihung der Venia Legendi für das Fach „Pastoraltheologie“ erfolgen. Die Habilitationsschrift, die von Kollegen Udo Schmälzle begleitet wurde, thematisiert das Verhältnis von christlicher Identität und Relevanz in der alexandrinischen Vätertheologie. Darin wusste er seine patristische Expertise für die Pastoraltheologie und für pastorale Fragen der Gegenwart fruchtbar zu machen.
So nahm für Peter Kohlgraf die akademische Laufbahn ihren Lauf. Zum Wintersemester 2012/13 trat er die Professur für Pastoraltheologie an der Katholischen Hochschule Mainz an. Neun Semester, also viereinhalb Jahre, lehrte er dort als „Professor im Kirchendienst“ Pastoraltheologie; immer wieder referierte er bei Tagungen und in Workshops. Seit dieser Zeit rührt übrigens unsere Zusammenarbeit in gemeinsam durchgeführten Seminaren und Akademietagungen; sie fand in einer Reihe von Publikationen ihren Niederschlag. Neben seiner akademischen Tätigkeit war ihm die praktische Seelsorge in der rheinhessischen Diaspora wichtig. Was ihn dort auszeichnete: Seine Gottesdienste und Predigten waren immer bestens vorbereitet, egal, ob nun mit 80 Gottesdienstbesuchern zu rechnen war oder nur zwölf oder 14 kamen.
Einen habilitierten Theologen zieht es im Grunde auf eine Universitätsprofessur. Dies gilt umso mehr, wenn wie bei Peter Kohlgraf das wissenschaftliche Œuvre über die Jahre hinweg stetig gewachsen ist. Es umfasste damals bereits mehrere Monographien und eine respektable Zahl an Aufsätzen zu aktuellen pastoraltheologischen und religionspädagogischen Fragestellungen. Sein Buch über Yves Congar „Nur eine dienende Kirche dient der Welt“ war in zweiter Auflage erschienen.
So ist es in gewisser Weise folgerichtig, dass Peter Kohlgraf im März 2017 einen Ruf auf die Professur für Pastoraltheologie an der Fakultät für Katholische Theologie der Universität Regensburg erhielt, über den er sich gefreut hatte. Wir hatten bereits überlegt, Doktorandenkolloquia künftig gemeinsam durchzuführen. Dann machten ihm das Mainzer Domkapitel mit ihrer Wahl und Papst Franziskus mit seiner Ernennung zum Bischof von Mainz gewissermaßen einen Strich durch die Rechnung und er lehnte den Ruf nach Regensburg ab.
Vielleicht hast Du, lieber Peter, in den vergangenen Jahren das eine oder andere Mal darüber sinniert, wie es wohl gewesen wäre, hättest Du nicht von der Cathedra im Mainzer Dom Besitz ergriffen, sondern würdest stattdessen regelmäßig den Katheder der Alma Mater in der Oberpfalz besteigen. Was wäre gewesen, wenn… In gewisser Weise holt die Ernennung zum Honorarprofessor hier an der JGU diese Möglichkeit ein, lässt sie die von Dir gewählte zweite Weichenstellung, nämlich die akademische Laufbahn einzuschlagen und an einer Universität zu lehren, doch noch Realität werden.
Als Fakultät haben wir uns jedenfalls sehr gefreut, dass Du auf unser Ansinnen, Dich zum Honorarprofessor zu ernennen, so positiv reagiert hast. Umgekehrt wissen wir schon Dein bisheriges Engagement an unserer Fakultät sehr zu schätzen; die enormen Anforderungen an einen Diözesanbischof, die zeitlich nicht viel Spielraum lassen, sind uns sehr wohl bewusst. Umso mehr würdigen wir Deinen Einsatz an unserer Fakultät. Seit dem Sommersemester 2022 und damit seit mittlerweile drei Semestern bist Du durch den Fakultätsrat bestellter Lehrbeauftragter, was die Studierenden sehr zu schätzen wissen. Im letzten Wintersemester hast Du u. a. eine Lehrveranstaltung zum Thema „Aufklärung von sexuellem Missbrauch in der Kirche“ durchgeführt.
Aber schon vorher, seit Deiner Ernennung zum Bischof von Mainz, hast Du ein gutes Einvernehmen mit unserer Fakultät gepflegt und Dich für unsere Belange stets engagiert, mitunter auch über Deinen früheren und ebenso den jetzigen Generalvikar. Als Dich bald nach Deiner Ernennung zum Bischof von Mainz andere Bischofskollegen bedrängten, die Priesterausbildung aus Mainz abzuziehen, hast Du diesem Ansinnen widerstanden. Du hast im Gegenteil die Priesterausbildung in Mainz gepusht, indem Du sie mit der Ausbildung der anderen pastoralen Berufe im Haus der kirchlichen Berufe stärker vernetzt hast. Als Fakultät wissen wir das und manches Andere zu schätzen und sind dafür dankbar. Es ist keineswegs selbstverständlich, dass die Kooperation zwischen Bistum und Fakultät so reibungslos und einvernehmlich verläuft wie bei uns in Mainz.
In der neuesten Nummer der „Lebendigen Seelsorge“ ist ein Gespräch mit Dir abgedruckt, das viel über Dein Selbstverständnis als Bischof aussagt. Darin heißt es:
Dieses Zitat finde ich in doppelter Hinsicht bemerkenswert: Zum einen dokumentierst Du damit nach außen, wie ernst Du die Honorarprofessur nimmst. Zum anderen sagt es viel über Dein Selbstverständnis als Bischof aus, der mit seiner Bischofsweihe das eigenständige theologische Denken nicht an den Nagel gehängt hat. Deinen Stellungnahmen und Predigten ist anzumerken, wie sehr Du die reflexive und kritische Kraft der Theologie zu schätzen weißt. In der kirchlichen und gesellschaftlichen Öffentlichkeit bist Du ein anerkannter Gesprächspartner und hast Dir deutschlandweit – und darüber hinaus – ein beachtliches Renommée erarbeitet. An überdiözesanen Aufgaben sei nur erwähnt, dass man Dich im Oktober 2019 zum Präsidenten von Pax Christi Deutschland wählte und Du seit September 2021 Vorsitzender der wichtigen Pastoralkommission der Deutschen Bischofskonferenz bist.
Das Wort Honorarprofessur sagt es bereits: Eine Honorarprofessur hat viel mit Ehre zu tun. Ja, sie ehrt den Geehrten – aber in diesem Fall mindestens ebenso die Ehrenden, gereicht Deine Ernennung doch der Mainzer Kath.-Theologischen Fakultät wie der Johannes Gutenberg-Universität insgesamt zur Ehre.
Ich freue mich nun auf Deine Vorlesung zum Thema „Evangelisierung“.