23. Juli 2020
Stellungnahme zur Instruktion der Kleruskongregation "Die pastorale Umkehr der Pfarrgemeinde im Dienst an der missionarischen Sendung der Kirche"
Prof. Dr. Philipp Müller
Als Bischof Stephan Ackermann Anfang Juni aus Rom zurückkehrte und davon berichtete, die geplante Trierer Bistumsreform ändern zu müssen, da ahnte niemand, dass das nur der Auftakt einer umfassenderen Intervention der römischen Kurie sein würde. In der jetzt vorliegenden Instruktion, einer Ausführungsanweisung der Kleruskongregation über die Pfarrgemeinde, ist genau das geschehen. Sie ist auf dem Hintergrund der Umstrukturierungsmaßnahmen zu lesen, die derzeit in den meisten deutschen Bistümern in vollem Gang sind.
Das Dokument bringt den gewachsenen Pfarreien eine hohe Wertschätzung entgegen und will sie vor einer handstreichartigen Auflösung durch einen Diözesanbischof oder eine Bistumsleitung schützen, wenn diese sie zu überdimensionierten „Pfarreien neuen Typs“ zusammengelegen möchten. Die Messlatte für die Auflösung von Pfarreien legt das Dokument sehr hoch. In jeder Pfarrei bleibt der Vermögensverwaltungsrat etabliert, während beim Pfarrgemeinderat je nach Situation zu entscheiden ist, ob er für eine oder für mehrere Pfarreien bestehen soll. Aufschlussreich ist, wie häufig die deutsche Übersetzung der Instruktion von „Pfarrgemeinde“ spricht. Sogar im Titel ist das Wort enthalten, obwohl das Kirchenrecht es nicht kennt; vermutlich soll es dem ganzen Dokument eine pastorale Tönung verleihen. Bistümern wie Mainz, wo künftig begrifflich und organisatorisch zwischen der übergeordneten Pfarrei und der Gemeinde als Nahraum kirchlichen Lebens unterschieden werden sollte und in denen sich die Bezeichnung Pfarrgemeinde dann erübrigt hätte, könnte die Instruktion in dieser Hinsicht ein Stoppschild gesetzt haben.
Am stärksten ist das Dokument auf den ersten Seiten, in denen es auf die Erneuerung der Pfarrgemeinden zu sprechen kommt. Hier finden sich viele Anklänge an Papst Franziskus, vor allem an seine Programmschrift Evangelii gaudium. Dis Instruktion betont, dass eine pastorale Umkehr angesagt ist, diese jedoch nicht primär aus strukturellen Veränderungen resultiert, sondern mit einer pastoralen Kreativität einhergeht. Eine Pfarrei und ihre Angehörigen sollen nicht selbstreferentiell um sich kreisen, sondern hinaus zu den Menschen gehen, um ihnen das Evangelium zu bringen. Das Dokument erinnert die Pfarreien auch daran, die Armen nicht zu vergessen.
Angesichts der pastoralen Verhältnisse in unserem Land ist das 8. Kapitel am befremdlichsten. Es behandelt die Frage der Leitungsverantwortung in und für die Pfarrgemeinde. Das Dokument argumentiert vom geltenden Kirchenrecht her und bindet damit die umfassende Seelsorge an das Amt des Pfarrers bzw. an die Priesterweihe. Zwar behält der Priester die entscheidende Schlüsselstellung und die bestehende Pfarreienstruktur wird gestützt, aber die realistische Frage, wie die immer weniger werdenden Priester ihre Aufgabe schultern können, wird nicht gestellt. Manche Passagen muten sehr irritierend an (z. B. wenn über Priester geschrieben wird, die wieder bei ihren Eltern wohnen). Die Laien kommen in der Instruktion unter „Ferner liefen“ vor, und die tragende Rolle von Frauen in der pfarrlichen Seelsorge wird nicht angemessen gewürdigt. Das Schreiben der deutschen Bischöfe „Gemeinsam Kirche sein“ aus dem Jahr 2015 ist hier deutlich weiter. Und dass es in Deutschland seit Jahrzehnten Pastoral- und Gemeindereferenten und -referentinnen gibt, die theologisch qualifiziert und mit bischöflicher Sendung in vielen Bereichen der Seelsorge kompetent und eigenverantwortlich ihren Dienst verrichten, ist außerhalb des Horizonts dieses römischen Dokuments.
Bischof Ackermann aus Trier hat eine Bistumssynode durchgeführt, aus der eine Pfarreienreform resultierte, wurde aber von der römischen Kleruskongregation zurückgepfiffen. Es kann gut sein, dass es dem Synodalen Weg ähnlich ergehen wird: Nach zwei Jahren intensiver Beratungen werden Beschlüsse gefasst, die nach Rom gesandt werden. Dort lässt man sie entweder unbeantwortet liegen (wie bei der Würzburger Synode) oder eine römische Kongregation nimmt sich ihrer an und wird sie mittels einer Instruktion negativ beantworten.
(Dieser Beitrag entstand auf Anfrage der Mainzer Kirchenzeitung "Glaube und Leben" für die Ausgabe vom 02. August 2020)
Herbst 2019
"Bistümer im epochalen Umbruch" - Sammelband als Nachlese zur Tagung im Januar 2019
Viele deutsche Diözesen befinden sich derzeit in einem Umbruch, der ohne Übertreibung als epochal bezeichnet werden kann. Auch das Bistum ist in diesen Prozess involviert. Deshalb fand im Januar 2019 in Kooperation mit dem Erbacher Hof eine Tagung zu diesem aktuellen Thema statt, die in der Öffentlichkeit auf eine beachtliche Resonanz gestoßen ist. Die dort gehaltenen Vorträge – unter anderem von Bischof Dr. Peter Kohlgraf (Mainz), Martin Lörsch (Trier) und Jan Loffeld (jetzt Utrecht) – sind nun in einem Sammelband erschienen und damit einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich. Der Sammelband kann zum Preis von fünf Euro im Mainzer Erbacher Hof oder am Lehrstuhl für Pastoraltheologie der JGU Mainz erworben werden.
Philipp Müller (Hrsg.): Bistümer im epochalen Umbruch. (Materialien 1/2019) Mainz 2019.
13. März 2019
Eine Zäsur in der Kirche? – Der Studientag der Deutschen Bischofskonferenz am 13. März 2019 in Lingen
Prof. Dr. Philipp Müller
Im Herbst 2018 wurde die MHG-Studie zum sexuellen Missbrauch in der katholischen Kirche veröffentlicht. Der Studie liegt eine Durchsicht der Personal- und Handakten aller deutschen Diözesen der letzten 70 Jahre zu Grunde. Danach wird jeder 23. Priester des sexuellen Missbrauchs Minderjähriger beschuldigt. Auf jeden Beschuldigten kommen statistisch gesehen 2,5 Betroffene. Das Dunkelfeld ist vermutlich deutlich höher. Hinzu kommt der Bereich der Orden, der bislang noch nicht systematisch untersucht worden ist.Die erschütternden Ergebnisse der MHG-Studie haben die Bischöfe dazu bewogen, sich bei ihrer diesjährigen Frühjahrsvollversammlung in Lingen mit den strukturellen Ursachen des Missbrauchs in der Kirche zu befassen. Sie taten dies unter der Überschrift „Die Frage nach der Zäsur. Studientag zu übergreifenden Fragen, die sich gegenwärtig stellen“: Als erster referierte dort Gregor Maria Hoff (Salzburg) über „Sakralisierung der Macht“, dann sprach Philipp Müller (Mainz) über „Die Zukunft der priesterlichen Lebensform“; abschließend thematisierte Eberhard Schockenhoff (Freiburg) die „Weiterentwicklung der kirchlichen Sexualmoral“; die Moderation lag bei Julia Knop (Erfurt), die auch den Einstiegsimpuls lieferte. In den Referaten trat immer wieder auch die Spannung zutage, die zwischen dem kirchlichen Lehramt, den gegenwärtigen theologischen Diskursen und dem Lebensgefühl der heutigen Menschen besteht. Vermutlich war es das erste Mal, dass sich die Bischofskonferenz als ganze dieser Spannung so umfassend ausgesetzt und ihr gestellt hat. Über das Gehörte wurde anschließend sowohl in Kleingruppen als auch im Plenum intensiv diskutiert. Die Gesprächsatmosphäre während des Studientags war offen und konstruktiv.
Einen Tag später haben die Bischöfe dann beschlossen, sich auf einen „synodalen Weg“ einzulassen, auf dem die drei Themenkreise „Macht in der Kirche“, „Priesterliche Lebensform“ und „Kirchliche Sexualmoral“ weiter bearbeitet werden. In diesen „synodalen Weg“ wird auch das Zentralkomitee der deutschen Katholiken involviert sein. Vielen Verantwortlichen ist klar, dass der „synodale Weg“ keine Neuauflage des Dialogprozesses der Jahre 2011 – 2015 werden darf, bei dem über vieles gesprochen werden durfte, die entscheidenden Konfliktthemen jedoch außen vor bleiben mussten. Insofern bleibt abzuwarten, wie sich der „synodale Weg“ gestalten wird und ob die Ergebnisse der Missbrauchsstudie tatsächlich zu einer Zäsur in der Kirche führen werden.
Das Referat von Prof. Philipp Müller finden Sie unter
https://www.dbk.de/fileadmin/redaktion/diverse_downloads/presse_2019/2019-038b-FVV-Lingen-Studientag-Vortrag-Prof.-Mueller.pdf
Die Beiträge der anderen Referenten sind zugänglich unter
https://www.dbk.de/presse/aktuelles/meldung/studientag-zum-thema-die-frage-nach-der-zaesur-zu-uebergreifenden-fragen-die-sich-gegenwaertig-stel/Detail/
11. Januar 2019
Akademietagung "Bistümer im epochalen Umbruch"
Tagung am Erbacher Hof am 11. Januar 2019 als Bestandteil des Hauptseminars
Am 11.01.2019 fand in Kooperation mit dem Erbacher Hof Mainz eine Akademietagung mit dem Titel „Bistümer im epochalen Umbruch“ statt. Prof. Dr. Peter Reifenberg vom Erbacher Hof und Prof. Dr. Philipp Müller begrüßten die rund 160 Teilnehmenden – schon diese große Zahl betone die gegenwärtige Relevanz der Thematik. Die Kirche stehe vor „gewaltigen Veränderungsprozessen“ (Müller) und es sei schön, dass so viele diesen „strukturellen, wie spirituellen Weg“ (Reifenberg) mitgehen.
Im ersten von drei Hauptvorträgen stellte der Mainzer Bischof Prof. Dr. Peter Kohlgraf den sich verändernden Charakter der Pfarrei dar. Diese sei längst nicht mehr der stabile spirituelle Lebensmittelpunkt eines Dorfes, sondern hat sich bereits bis heute einem Wandel unterzogen. Der veränderten Situation müsse in Bistumsprozessen Rechnung getragen werden. Ähnlich wie in einem Mobile sei in Zukunft eine intensivere Zusammenarbeit der verschiedenen Institutionen und Organisationen einer Pfarrei erforderlich, um den gemeinsamen Auftrag neu zu entdecken.
Der Trierer Pastoraltheologe Prof. Dr. Martin Lörsch betonte anschließend, dass diese Veränderungen keine bloße Optimierung des Status Quo sein könne, sondern dass man mutig die bestehenden Muster unterbrechen und neu experimentieren solle. Mit Blick auf den Synodenprozess im Bistum Trier zeigte er auf, wie wichtig es ist, alle Ebenen des Bistums mitzunehmen. Dabei gehe es nicht darum, jeglicher Konfrontation aus dem Weg zu gehen, sondern im gemeinsamen Ringen um den richtigen Weg die entscheidenden Weichen zu stellen. Wenngleich Veränderungsprozesse dringend erforderlich seien, müsse dabei nicht immer alles problemlos verlaufen.
Als dritter Referent ging der Pastoraltheologe der Katholischen Hochschule Mainz Dr. Jan Loffeld auf das Auseinanderdriften von Kirche und Welt der letzten 200 Jahre ein und schlug eine Rückbesinnung auf die Alte Kirche in vorkonstantinischer Zeit vor. Damals wie heute sei die Entscheidung für das Christsein eine bewusst getroffene und kein Massenphänomen. Man solle an die frühe Kirche anlehnend dieses bewusste Zeugnis authentisch leben, den persönlichen Mehrwert des Glaubens herausarbeiten und bedingungslos diakonisch Handeln, ohne dabei bewusst missionieren zu wollen.
Mirjam Hake, Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Pastoraltheologie der Universität Mainz, moderierte eine abschließende Podiumsdiskussion, in der Müller, Lörsch, Loffeld und Personaldezernent des Bistums Mainz Dr. Wolfgang Fritzen verschiedene Aspekte aus den Vorträgen vertiefend zur Sprache brachten. Die Zukunftsbilder für die Kirche in Deutschland seien pluriform und müssen der Moderne und der Lebenswirklichkeit der Menschen gerecht werden. Ringen, Streiten und Entscheiden innerhalb der Entwicklung sei dabei ebenso wichtig, wie eine gemeinsame spirituelle Basis. „Auch wenn wir noch nicht wissen, was genau die Zukunft bringen wird“, resümierte Fritzen, „ich habe die tiefe Zuversicht, dass es gut wird, weil wir durch den Heiligen Geist begleitet werden.“
Sebastian Schäfer
Zur weiteren Berichterstattung:
11. Januar 2019
Begegnung mit Bischof Prof. Dr. Peter Kohlgraf
Im Rahmen des Hauptseminars „Bistümer im epochalen Umbruch“ trafen Studierende der Theologie aus Mainz und Trier den Mainzer Bischof Prof. Dr. Peter Kohlgraf.
Prof. Dr. Philipp Müller stellte zunächst den aktuellen Stand der Veränderungsprozesse im Bistum Mainz vor, das sich im Bistumsvergleich noch ganz am Anfang befindet. Im anschließenden Gespräch berichtete Kohlgraf von seinen Erfahrungen aus seinen Besuchen in den Dekanaten des Bistums. Es herrsche im Bistum eine insgesamt positive Stimmung, etwas verändern zu wollen, ebenso gebe es aber auch Ängste und Sorgen, das Altbewährte aufgeben zu müssen. Im Dialog mit den Studierenden betonte er die Notwendigkeit, die Gläubigen auf dem Prozess mitzunehmen und dabei alle Milieus versuchen zu integrieren. Ein Aufbruch in die Zukunft sei unabdingbar und dieser beinhalte ein neues Verständnis von Leitung, Partizipation und Ehrenamt.
Sebastian Schäfer
31. Mai bis 3. Juni 2018
„Die Menschen haben vergessen, dass sie Gott vergessen haben.“ (A. Noack)
Exkursion des Hauptseminars „Missionarische Pastoral in Deutschland“ des Fachbereichs Pastoraltheologie
Es sind eindrückliche Erlebnisse und Begegnungen, die der Gruppe der sieben Studierenden unter der Leitung von Prof. Dr. Philipp Müller und Dipl. theol. Mirjam Hake am Ende der Exkursion nach Leipzig bleiben. Ziel des Hauptseminars „Missionarische Pastoral in Deutschland“ war es, die theologischen Grundlagen mit einem Blick in die Diaspora-Situation auf dem Gebiet der ehemaligen DDR zu verbinden. In Begegnungen mit Verantwortlichen in Theologie und Kirche wurde dem nachgespürt, was Christ-Sein in einer säkularen Umgebung heißt und wie Kirche noch agieren kann, wenn die These stimmt: „Die Menschen haben vergessen, dass sie Gott vergessen haben.“
Auftakt der Exkursion war ein Besuch in Erfurt, wo die Katholische Arbeitsstelle für Missionarische Pastoral (KAMP) angesiedelt ist. Im Gespräch mit Dr. Hubertus Schönemann und Dr. Markus-Liborius Hermann wurden die ersten Fragen aufgeworfen, was Mission heute heißt, wie Kirche ein relevanter Gesprächspartner für Gesellschaft bleibt und welche Bedeutung das persönliche Glaubens- und Lebenszeugnis heute hat.
„Wer hier katholisch ist, der weiß auch warum“, so benannte P. Philipp König OP die Situation der Gemeinden in Leipzig, stellvertretend für viele Gemeinden auf dem Gebiet der ehemaligen DDR. Die Säkularisierung, die in den 40 Jahren der DDR vorangetrieben wurde, ist bis heute spürbar. Sie führt jedoch gleichzeitig zu einer großen Identifikation der Christen mit „ihren“ Gemeinden, was sich in einem hohen ehrenamtlichen Engagement ausdrückt.
In Gesprächen mit Vertretern der Katholischen Studierendengemeinde, den Dominikanern, Universitätsprediger Prof. Dr. Zimmerling und Andreas Knapp wurde immer wieder das Bild einer zwar zahlenmäßig kleinen aber starken Kirche vermittelt, die ihren Beitrag zum öffentlichen Leben leistet und dabei weniger missionieren, als vielmehr lebendiges Zeugnis sein will.
Die Teilnehmer blicken zurück auf eine gelungene und anregende Exkursion, bei der man zwar vielleicht mehr Fragen als Antworten mit nach Hause nehmen konnte, die aber umso mehr zum Nachdenken anregt, welche Relevanz Evangelium und Kirche für die heutige Zeit haben und wie der christliche Glaube heute fruchtbar werden kann.